4 Stunden für 1 Kurzfilm

Christian Baumeister

4 Stunden für 1 Kurzfilm

Tough

Vier Stunden Drehzeit für einen Kurzfilm mit fast einem Dutzend Darsteller – das ist tough.
Tough, weil es keine Proben gab.
Tough, weil der Drehort vorher nicht besichtigt werden konnte.
Tough, weil, bis auf Anwaltdarsteller Olaf, alle vor der Linse agierenden Menschen über eine kleine Besonderheit verfügen.
Sie haben ein Chromosom mehr als der durchschnittliche Mensch auf diesem Planeten.

Eins mehr

Ich drehe mit Menschen mit Trisomie21, bekannt auch als Downsyndrom.
Warum?
Die Idee zum Film kam vom  Verein einsmehr. Einer Elterninitiative, zu der sich Eltern mit ihren Kindern mit Downsyndrom zusammengefunden haben.
Regelmässig besuchen Mitglieder auf Einladung Bildungseinrichtungen und geben Vorträge über die Thematik Trisomie21.
Nun wollte man einen Film, den man als Opener bei diesen Veranstaltungen zeigen konnte.

Bei den Vorgesprächen wurde dann klar, es sollte kein weiterer Film mit lachenden Menschen werden, die leicht tapsig aber liebenswert in ihrer Welt gezeigt werden. Das Publikum sollte schnell in die Diskussion gebracht werden.
Kurz prägnant, dabei Vorurteile aufgreifend und gleichzeitig Vielfalt zeigend, das war die Vorgabe.
Dazu wurde ein Textscript erstellt.
Und es zeigte sich schnell, dass die Geschichte in eine Kläger/Angeklagter Situation münden würde.

Kopfkino beginnt

Mein Job war es, neben der Stoffmitentwicklung, dies bildlich umzusetzen. Da beginnt das Kopfkino.
Wie, wo, mit wem?
Da ich lange im aktuellen TV-Bereich gearbeitet habe, dort Spontanität und gut Ideen vor Ort einem oft die Geschichte retten suche im immer Anknüpfpunkte. Das können Protagonisten oder Locations sein. Es gibt einfach spontane Settings, da kann nichts schief gehen.

Über Theater-Beziehungen im Verein kamen wir an Olaf Ude.
Mit ihm habe ich mich dann im Vorfeld einmal getroffen und dann war mir klar – es klappt.
Die Chemie passte und die Bilder begannen im Kopf zu rennen.

Machen

Nun also 4 Stunden Zeit und eine Horde meist junger Menschen mit nicht nur Chromosomenüberschuss.
Aber gerade das macht es ja dann interessant. Und da alle ein gutes Ergebnis haben möchten, die Auftraggeberin mehr als engagiert ist bekommt man das dann auch hin.

Dreharbeiten "der Prozess" mit URSA mini Pro

URSA mini Pro mit 50mm Prime. Olaf studiert die Prozessakten.

Wichtig ist hier, dass die Szenen gescriptet werden.
Jede Einstellung muss klar sein, dann lässt sich konzentriert ein Bild nach dem anderen realisieren.
Das Timing passt, die Übergänge, Equipment kann optimal eingesetzt werden.
Und im Schnitt läuft das dann auch nicht aus dem Ruder. Die Bilder sind da.

Da braucht es kein riesen Team. Da es ein Probono Projekt war wäre das ohnehin nicht gegangen.
Vor Ort hatte ich aber den unglaublichen Heiko Schlachter zur Seite. Danke.
Gedreht wurde in einem kleinen Theater in Augsburg. Als Requisiten gab es einen Tisch, eine Aktentasche und ein paar ausgedruckte Blätter. Licht war minimal – drei dedo light, mehr ging nicht.
Als Kamera nutzte ich die Blackmagic URSA mini Pro mit Samyang Festbrennweiten (24mm, 35mm, 50mm und 100mm Makro)

Theater

Wir also im Theater, draussen die Mütter mit ihren Kindern. Kekse und Getränke hatte ich noch besorgt.
Und dann begannen zügig die Dreharbeiten, wobei wir uns nach dem Erscheinen der Darstellern richteten.
Die kamen ja nicht alle auf einmal, sondern, wie es in den Tagesablauf passte. Schule, Arbeit, Freizeit.

Es war natürlich alles andere als chronologisch. Aber das ist beim Film ohnehin so.
Olaf spielte absolut professionell, das war mir schon vorne herein klar. Er ist sehr gut.
Doch wie würden die Menschen, meist Jugendlichen, mit Downsyndrom agieren?
Olafs Text war nicht nett, seine Stimme wenig schmeichelhaft – er gab das Ekel. Überzeugend.

Olaf als Anwalt in „Der Prozess“

Es lief gut.

Wichtigste Regel, nur die nötigsten Leute am Set. Die Eltern zum Beispiel warten draussen im Pausenraum.
Ob eine Szene gut oder schlecht ist, der Bildausschnitt passt, das können Aussenstehende ohnehin nicht beurteilen.
Sie sind ja im Projekt nicht drin. So etwas führt nur zu unnötigen Diskussionen und zur Verunsicherung von ungeübten Protagonisten.

Das Projekt hat richtig Spass gemacht, da es kaum Totzeiten, einen enormen Willen und schon gar keine unnötigen zusätzlichen Meetings brauchte.
Es wurde gemacht.

Was ich mitgenommen habe – Menschen mit Downsyndrom „leiden“ nicht unter Trisomie21, sie haben Trisomie21.
Man leidet nur darunter, wenn man deswegen gesellschaftlich ausgegrenzt wird, sich nicht nach seinen Fähigkeiten entwickeln kann.
Inklusion ist eben mehr als dabei sein.

Das Projekt wurde vor Corona realisiert.

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